Ein ungeschönter, authentischer Erfahrungsbericht – 14 Tage auf dem Camino France.
Einen ersten Teil des Jakobswegs bin ich 2013 gelaufen, und zwar von Saint-Jean-Pied-de-Port, über die Pyrenäen und den Alto del Perdon bis nach Puente la Reina. Sozusagen die „Feuertaufe“ auf meinem Jakobsweg. Alle anderen Etappen, begonnen von Puente la Reina, bis Santiago de Compostela und anschließend nach Muxia und Finisterre, bin ich 2014 in der Zeit vom 6. Juni bis 18. Juli 2014 gewandert.
Der Weg war schwer, wundervoll, bezaubernd, erleuchtend und manchmal hat er mich an meine Grenzen gebracht… aber ich werde diese Zeit immer in mir tragen und sie nie mehr vergessen.
Meine Erfahrungen, abseits der vielen – größtenteils geschönten – Berichte möchte ich hier zusammenfassen: Einmal für mich ganz persönlich und zum anderen in der Hoffnung denjenigen, welche sich auf den WEG machen wollen, etwas an die Hand zu geben, das ihnen hilft, Fehler zu vermeiden.
Die Etappen
Anreise (Frankfurt – Saint Jean Pied de Port)
Endlich war der große Tag der Reise angerückt. Noch um Mitternacht plage ich mich mit dem Einräumen und Schnüren mein es Rucksacks herum, laufe in der Wohnung mit aufgeschnalltem Rucksack hin und her und teste, wie es sich anfühlt. Mir gehen tausend Sachen durch den Kopf und ich möchte nichts vergessen. An Schlaf ist nicht zu denken, ich bin total aufgeregt. Auf halb vier ist der Wecker gestellt und irgendwann schaffe ich es doch noch, ein paar Stunden Schlaf zu finden.
Am Morgen klappt alles wunderbar. Es ist alles gepackt, ich wuchte den Rucksack auf die Schultern und los gehts! Jakobsweg ich komme … und komme genau bis zum Rathaus, da stelle ich fest, dass ich mein Handy vergessen habe. Also wieder im Schweinsgalopp zurück nach Hause und das Handy geholt. Und jetzt habe ich Zeitnot … wie eine Irre marschiere ich zum Bahnhof und mein Puls rast! Nass geschwitzt komme ich dort an, der Schweiß rinnt mir aus allen Poren. Das fängt ja gut an! Leise Zweifel melden sich in mir, was das wohl geben wird? Immerhin, die S-Bahn kommt pünktlich. Die Leute starren mich an. Jetzt schwitze ich erst recht und es hört auch nicht auf, im Gegenteil, im warmen Zugabteil wird es ja nicht besser… Am Frankfurter Hauptbahnhof angekommen gönne ich mir gleich mal einen Kaffee Latte und laufe zum Gleis, auf dem der ICE nach Paris Est abfährt. Herrlich, ich bin auf meinem Weg… Alles ist gut gegangen. Die Fahrt nach Paris ist angenehm, der Zug ist auch nicht voll und klimatisiert, so kann das weitergehen. In Frankreichs Metropole angekommen, brauche ich nicht lang, um die passende Metrostation zu finden. Allerdings muss man ein ganz schönes Stück laufen, bis man zur passenden Station kommt, zum Glück kenne ich mich von meinen letzten beiden Paris-Reisen aus. Es ist ein gutes Stück bis zum Bahnhof Montparnasse mit der Metro. Viele Stationen werden angefahren und um diese Uhrzeit ist alles vollgestopft. Der Anschlusszug fährt erst Stunden später und ich habe viel zu viel Zeit dazwischen, so dass ich in Montparnasse über zwei Stunden Aufenthalt habe, bis es endlich weiter geht.
Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich in der Wartehalle sitze und die Leute beobachte, ich hatte damit gerechnet, dass noch mehr Pilger unterwegs sind. Aber ich sehe nicht einen. Da kommt mir die Idee, dass ich die gesalzenen Sonnenblumenkerne herausholen könnte was sämtliche Vögel in der Bahnhofshalle auch direkt gut finden, sie hüpfen um mich herum. Schnell die Sonnenblumenkerne wieder eingepackt, keine gute Idee!
Endlich geht es weiter, die Sitzplätze im Zug sind total beengt oder mir kommt es zumindest so vor. Es ist ungemütlich. So hocke ich eingepfercht auf meinem Sitz und starre aus dem Fenster. Ich höre die neue CD von Passenger. Wundervoll … ich schaue in den Himmel und habe das Gefühl, die Wolken greifen zu können… toll! Neben mir sitzt eine Pilgerin, welche mir später in der Orisson Herberge wieder begegnen wird. Gegen ihre Wanderstöcke sehen meine aus wie dicke Besenstiele…
In Bayonne angekommen, muss ich feststellen, dass der Zug nach Saint Jean Pied de Port nicht fährt, teile der Strecke sind wegen Hochwasser nicht befahrbar! Wie schade! Ich wäre soooo gerne mit dem Zug in Saint Jean Pied de Port angekommen. Stattdessen geht ein Bus in einer halben Stunde. Zu allem Pech fährt der Busfahrer nun jeden kleinen Ort an, der auf dieser Strecke liegt. Was macht das Spass, an den Straßenschildern entgegengesetzt vorbei zu fahren, die in die Richtung Saint Jean Pied de Port weisen …
Es wird wirklich jedes noch so kleine Kaff angefahren, endlose Schleifen werden durch alle Orte gezogen. Nach 14 Stunden Anreise bin ich restlos bedient. Endlich, gegen 20:00 Uhr hält der Bus dann irgendwo im ersehnten Ort und ich bin angekommen. Völlig orientierungslos folge ich den vor mir herschaukelnden Rucksäcken, ich bin zu müde, um jetzt noch nach dem Weg im Pilgerführer zu suchen und vertraue der Richtung in die die anderen Pilger laufen. Und wie wunderbar, es geht in die traumhafte Rue de la Citadelle und auf in die Herberge!
Erster Tag ( von Saint Jean Pied de Port bis Orison)
Pyrenäen Schafherden Sonnenuntergang
Irgendwie habe ich mir den Start des Jakobswegs spektakulärer vorgestellt. In all den Filmen und den Büchern, die ich über den Weg gesehen und gelesen habe, habe ich mir den Gang durch DAS Jakobus-Tor, anders ausgemalt. Auch der weitere Weg Richtung Orisson ist nicht übermäßig ausgeschildert. Man bekommt zwar vom Pilgerbüro eine Wegbeschreibung, aber mit dem Zettel konnte ich nicht viel anfangen.
Bevor es von Saint Jean Pied de Port los geht, habe ich mir im dort den „Startstempel“ in meine Credencial drücken lassen. Dort gibt es auch die Pilgerausweise, sofern man noch keinen hat, aber ich finde sie nicht besonders schön, mit der Shell-Muschel vorne auf der Vorderseite. Zum Glück hatte ich mir meinen Ausweis vorher schon besorgt. Wunderschön, ein Pilgerstab und eine Muschel sind darauf abgebildet. Dafür sind aber die Jakobsmuscheln für den Rucksack hübsch und ich habe mich gleich mit einer Zweiten versorgtt, nur für alle Fälle, sicher ist sicher! Und zusätzliches Gewicht spielt ja momentan noch keine Rolle! (Die 14 Kilo, die ich ja derzeit noch habe, merke ich erst auf dem Weg … jedes Gramm zu viel wird mir noch übel zu stehen kommen.)
Von der „spirituellen“ Herbergsübernachtung noch immer wie betäubt, schreite ich durch die Rue de la Citadelle und nehme „das Jakobustor“ mehr oder weniger im Durchgehen wahr, auf einmal stand ich völlig perplex davor.
Total aufgeregt musste ich das sofort Filmen, Fotografieren und gleich mal SMS verschicken, dass ich das Tor gefunden habe. Die Wegbeschreibung habe mir anders vorgestellt und mir auch anders gewünscht. So war ich der Meinung, ich laufe los und finde sofort alles oder der Weg findet mich oder wie auch immer … so habe ich erstmal mindestens 30 Minuten am Tor verbracht und gefilmt, fotografiert und per SMS mein Erfolgserlebnis geteilt.
Nachdem ich ausgiebig das Tor bewundert, Ansichtskarten gekauft, geschrieben und verschickt habe, geht es dann weiter Richtung Orisson.
Das war wieder so ein „Erspüren“, wo es lang geht. Da ich sehr viel über den Weg gelesen habe, muss ich sagen, dass ich eine ganz andere Vorstellung davon im Kopf hatte, mein Bild in mir war ein ganz anderes.
Auf dem Weg nach Orisson geht es steil bergauf und nach jeder Kurve wird es mühseliger. Da mein Rucksack mit allem Möglichen bepackt ist, schleppe ich tatsächlich 14 Kilo über die Pyrenäen. Außerdem hatte ich noch in einer separaten Umhängetasche meine Kamera, die Filmkamera, die Verpflegung, Geldbeutel etc., da ich unbedingt jederzeit darauf zugreifen wollte. (Ich hatte noch viel zu lernen :0)
Die Wanderstöcke hatte ich auch noch schön säuberlich am Rucksack befestigt, anstatt sie zu benutzen. Die Straße/Gasse, in die man abbiegt, um auf die Route Napoleon zu kommen, erinnerte mich ein bisschen an den „Killerpfad“ in der Pfalz. Und schon geht es schön steil nach oben. Und wie blöd so mancher Radfahrer guckt, wenn er vor der Steigung steht … ich musste es direkt filmen, offensichtlich war ich mit meiner Meinung nicht allein.
Zwischendurch werde ich immer mal wieder von gepäcklosen Wanderern überholt. Nach ca. 1 Kilometer schön steil bergauf vergisst man Essen oder Trinken, der ganze Kopf denkt nur noch an die Bergspitze und das Atmen nicht vergessen …. Alle 100 Meter muss ich stehen bleiben. Zum Glück habe ich die Filmkamera dabei, so fühle ich mich nicht ganz so unsportlich und tue so, als müsse jetzt gerade gefilmt werden. Zwischendurch habe ich einen Café in Huntto getrunken, was nicht besonders klug war, denn der Puls setzte mir anschließend noch schneller Grenzen.Zwischenzeitlich überholt mich ein altes Paar, die Zwei laufen so zügig, es ist nicht zu fassen. Sie grüßen mich freundlich und ich frage mit Galgenhumor nach einem Taxi…
Auf dem Weg ist eine Baustelle und ein tonnenschwerer Laster donnert neben mir vorbei, ich bin irritiert, mit Lastern auf dem Weg hatte ich nicht gerechnet. Dafür wird die Aussicht immer schöner, oben in der Luft kreisen die Geier und ein paar Meter neben mir auf einem Felsen hockt einer von ihnen. Ich hatte davon gelesen, aber wenn man sie dann live sieht, bekommt man Respekt. Aus der Nähe sehen sie gefährlich aus und ich fühle mich beobachtet.
Nach ein paar Stunden geht bei mir im Wanderschuh die Post ab!!! Mir brennen die Füße und eine Blase macht sich breit (was ich später in der Herberge feststellen muss). Mir wird klar, die Filme hatten mir den Weg wie einen Spaziergang vermittelt und ich war gerade erst mal ein paar Stunden unterwegs. Das Wetter ist schwül und mein Kopf ist rot wie eine Tomate. Ein Läufer kommt mir entgegen und ich frage, wie weit es noch bis Orisson ist. Er teilt mit, es sei nur ein paar Minuten entfernt. Ich sehe nichts … aber tatsächlich, hinter einer Ecke taucht die Herberge endlich auf. Ich konnte sie nicht sehen, da sie hinter einer Kurve liegt. 4,5 Stunden habe ich bis Orisson gebraucht. Ich bin überglücklich, dass ich ein Bett reserviert habe. Mir brennen die Füße und das Gewicht meines Rucksacks nervt.
Zweiter Tag (von Orison nach Roncevalles)
Vierge de Biakorri spanische Grenze kommt in Sicht Richtung Roncevaux Rolandsbrunnen Kloster Roncevalles Alte Klosterherberge (heute nicht mehr in Betrieb)
Gleich früh um 7:00 Uhr starte ich los. Trotz meiner gestrigen Muskelschmerzen läuft es sich wunderbar, alle Strapazen vom Vortag sind vergessen, der Himmel ist wolkenlos. Es ist herrliches Wetter, aber in den Pyrenäen ist das wohl reine Glückssache, wie ich einige Tage später von einer anderen Pilgerin erfahre, denn sie ging nur einen Tag später los und hatte Regen und kaum Sicht auf die Berge.
Der Anstieg geht diesmal gemächlich bergauf und es ist nicht so steil wie am Tag zuvor. Der Weg ist asphaltiert und lässt sich sehr gut laufen. Eine Kuhherde ist unterwegs, die dem Weg den natürlichen Anstrich verpasst… im Zickzack geht es um dampfende Kuhfladen. Große Schafherden sind auf den Wiesen zu sehen, alles ist übersäht mit weißen Wolltupfen. Es blökt und bimmelt, die Natur scheint hier geboren zu sein. Ich bin total angetan!
Gegen 8:15 Uhr erreiche ich die bekannte Marienfigur (Vierge de Biakorri, 1.095 Höhenmeter). Da war ich doch ziemlich schnell unterwegs heute Morgen. Die Vierge de Biakorri hatte ich mir größer vorgestellt. Um sie jedoch aus der Nähe zu betrachten, müsste ich über Felsen steigen, mich stresst das jedoch zu sehr, den Rucksack auf und ab zu nehmen und dann noch zu klettern, dass ich die Marienfigur nur aus der Ferne fotografiere. Mittlerweile haben mich andere Pilger eingeholt und der Weg wird belebter. Ich fühle mich gut in Form. Wenig später komme ich an einem Wohnmobil vorbei, dort sitzt doch tatsächlich ein Schäfer und verkauft Cola, Bananen und Käse. Mehr scherzhaft frage ich nach einem Stempel für meinen Pass und tatsächlich zückt er seinen Stempel, den es nur hier in den Pyrenäen gibt. Er nennt ihn den letzten Stempel vor Roncevalles, so wird es wohl sein. Leider hat er keine Toilette dabei, aber ich soll es doch hinter der Wiese links versuchen, die Stelle sei hervorragend und von anderen Pilgern auf dem Weg nicht einsehbar. Alles klar, das probiere ich nicht aus, da ich sehe, dass seitlich Pilger auf den Wiesen sitzen und eine Pause machen.
Irgendwann nach einigen Kilometern geht es nach rechts vom asphaltiertem Weg ab. Ein Schild „Roncevaux“ zeigt rechts einen steilen Berg hinauf, ein großes Gedenkkreuz ist auf der Wiese zu sehen und an der Umrandung hängen Rosenkränze. Der Weg wird jetzt wieder steinig und matschig und ganz ehrlich, diesen Teil möchte ich nicht laufen, wenn Nebel ist. Ich glaube, dann ist auch gesperrt, da hier schon schlimme Unfälle passiert sind. Ich mache Filme von den Abhängen, aber bildlich kann man es nicht so festhalten, wie es tatsächlich ist, ich bin verwundert darüber, dass diese Stellen nicht durch einen Zaun gesichert sind. Weiter geht es jetzt am Grenzzaun entlang und ein kleines Stück später komme ich endlich an der Rolandsquelle an (Rolandsbrunnen, 1.340 Höhenmeter). Hier mache ich erst mal Pause und fülle meinen Wasservorrat auf. Etwa 150 Meter weiter zeigt ein Grenzstein an, dass man nun das spanische Navarra betritt.
Der Weg führt weiter durch ein Waldstück und es ist eine Wohltat für meine Füße über das Laub zu gehen, das sich anfühlt, als würde ich durch Watte laufen. Zwischendurch lege ich Steinchen auf die Steinmännchen, die links am Weg von Pilgern aufeinander gestapelt wurden als Wegweiser und Beschützer. Die Aussicht ist traumhaft hier oben. Man hat das Gefühl, den Himmel berühren zu können. Eine tolle Etappe, aber auch sehr anstrengend. Eine weitere Gedenkstätte – so eine Art Häuschen – ist kurz vor dem Anstieg zum Lepoeder Pass, hier haben Pilger Botschaften oder Andenken hinterlassen. Als ich endlich den Gipfel erreiche, stelle ich fest, dass sich eine zweite Blase an der anderen Ferse gebildet hat. Ich setze mich ins Gras und ziehe mir erst mal die Wanderstiefel aus und mache Pause, um die Blase mit Blasenpflaster und Tape zu versorgen und auch, um die grandiose Aussicht noch einen Moment zu genießen, bevor ich den Abstieg zum Kloster Roncevalles beginne. Leider treffe ich die falsche Entscheidung, die mir den Rest des Weges Qualen bereiten wird. Nur um 2 km zu einzusparen, nehme ich die Abkürzung über den steilen und steinigen Abhang hinunter zum Kloster. Der Weg geht so dermaßen steil bergab, dass ich mir während des Hinablaufens meine beiden großen Fußzehen frontal an die Vorderkante des Wanderstiefels anstosse. Ich bekomme Schmerzen, die mich ahnen lassen, dass das nicht ohne Folgen bleibt. Im Zickzack versuche ich den Weg hinunter zu laufen, aber auch das hilft nichts. Den Tag zuvor hatte es stark geregnet und nun war der Boden glitschig und morastig. Da stellenweise Laub darüber liegt, sehe nicht, was für eine Rutschbahn sich darunter befindet, ich kann kaum die Balance halten und der schwere Rucksack tut sein Übriges, mich weiter voranzutreiben. Auch die Wanderstöcke helfen mir hier nichts. Es dauert nicht lange, da rutsche ich auch schon auf dem Laub aus und stürze nach vorne in die Wanderstöcke. Hallelujah! Leicht benommen liege ich wie ein Käfer auf dem Rücken und kann mich mit dem schweren Rucksack kaum auf dem matschigen Boden aufrichten. Aber ich muss ja weiter. Andere Pilger, die den Sturz mitbekommen, fragen mich, ob alles in Ordnung sei. Nachdem ich mich endlich aufgerappelt habe, laufe ich zwar vorsichtiger hinunter, doch keine 500 Meter weiter stürze ich erneut. Jetzt völlig aus dem Häuschen brülle ich voller Wut in den Wald und kann es nicht fassen, dass ich mich schon wieder hingelegt habe. Wenn ich nur im Geringsten geahnt hätte, was mich auf diesem Stück Weg erwartet, wäre ich selbstverständlich die asphaltierte Straße nach Roncevalles gelaufen, auch wenn sie 2 km länger ist, aber ich wollte unbedingt die Abkürzung nehmen. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich Glück hatte und die Reise nach diesen Stürzen nicht sofort unterbrechen musste. Aber von den zwei geprellten Zehen zehre ich natürlich heute noch. Schön blau wachsen sie heraus und erinnern mich immer wieder an diese 3,5 km. Im letzten Stückchen Wald steht ein Kreuz, das an einen verstorbenen Pilger erinnert, ich kann mich jetzt über Kreuze, die in den nächsten Tagen den Weg zieren, nicht mehr wundern, das wird alltäglich werden. Noch am am nächsten Tag werde ichnochmals von Pilgern gefragt, ob alles in Ordnung ist, sie haben die Stürze mitbekommen und wundern sich, dass ich doch wieder unterwegs bin. Aus heutiger Sicht bin ich froh, dass ich diese Strecke hinter mir habe. So kann ich die Reise für 2014 entspannt und vor allen Dingen gesund angehen, ohne dass ich sie unterbrechen muss. Ich kann nur jedem empfehlen, sich vorher – und am besten aktiv – damit auseinanderzusetzen, damit der Jakobsweg auf dieser Etappe eine schöne Erfahrung wird. Aber weiter zu meinem grandiosen Abgang hinunter ins Kloster. Als ich endlich am Fuß des Berges in Roncevalles ankomme, bin ich so bedient, dass ich erst mal alles vor mich hin werfe, und am liebsten hätte ich vor Wut noch darauf herum gehüpft! Sofort und auf der Stelle zerre ich mir die Wanderstiefel von den Füßen und schlüpfe in meine offenen Sandalen. Beim Umziehen stelle ich fest, dass ich die beiden großen Zehen nicht mehr spüre! Sie sind taub! Wie benommen sitze ich für einige Zeit mitten auf dem Weg herum, meine Beinmuskeln brennen wie Feuer, die Waden spüre ich auch nicht mehr, sie haben sich irgendwann während des Abstiegs verabschiedet. Langsam quäle ich mich hoch, um mich auf den Weg zur Klosterherberge zu machen.
Dritter Tag (von Roncevalles bis Biscarret)
Beginn des Jakobswegs Zubiri Brücke Ortseingang Zubiri
Ich bin froh, als die Nacht endlich rum ist, ich habe kaum geschlafen. Völlig gerädert packe ich meinen Rucksack und mache mich nach unten zu den Regalen, wo meine Wanderstiefel deponiert sind. Ich habe noch keinen blassen Schimmer, wie ich heute darin laufen soll, meine beiden großen Zehen vertragen überhaupt keinen Druck. Unten im Eingangsbereich treffe ich Tanja wieder. Sie ist dick eingemummelt. Das Wetter ist neblig, kühl und regnerisch, also Ponchoalarm. Ich warte erst einmal ab, ob ich überhaupt laufen kann, das Problem: Ich kann die Wanderstiefel unmöglich mit den Einlegesohlen tragen! Sobald ich Druck auf die Zehen bekomme, kann ich nicht mehr weiter laufen. Was für eine Albtraum! Also raus mit den Einlegesohlen und dann hoffe ich, dass die Strecke nicht steinig wird, denn ohne Dämpfung in den Schuhen und mit dem schwerem Rucksack halte ich das nicht lange aus. Aber ein Versuch ist es wert, so laufe ich jetzt also zwar mit den Wanderstiefeln, aber ohne die dämpfende Einlegesohle. Draußen am Ortsausgang von Roncevalles mache ich Bilder von dem bekannten Hinweisschild „Santiago de Compostela 790 km“ und marschiere los. Gestern hatte mir ein Pilger erzählt, dass hier der eigentliche Camino beginnt. Unterwegs werde ich nochmal von dem Pilger, der meine gestrigen Stürze mitbekommen hatte gefragt, ob es mir gut geht. Na ja, gut ist relativ. Es hilft nichts, ich will ja weiter.
Zunächst geht es auf einem kleinen Waldpfad entlang zur nächsten Ortschaft, ich wundere mich, dass ich in der Lage bin, weiter zu laufen. Das hätte ich gestern noch nicht gedacht bei meiner körperlichen Verfassung… Gleich am Eingang des nächsten Ortes gibt es einen Supermarkt, dort hole ich mir mein Frühstück, das ich dann daneben im kleinen Park esse. Ein Huhn hat hier sein Revier eingerichtet und hilft mir, ich lasse es mit ein paar ordentlichen Brötchenkrümeln daran teilhaben.
Nach dem Frühstück geht es weiter. Es geht in nach Espinal. Da es noch früh ist, ist der Ort wie ausgestorben, aber aus einer Seitengasse sehe ich Pilger laufen und siehe da, es gibt dort tatsächlich ein offenes Café. Sofort lege ich eine Pause ein, ich mache mir Sorgen um meine Muskelschmerzen in den Beinen und Waden. Bevor ich aus der Herberge bin, hatte ich mir 2 Tüten mit à 400 mg Magnesiumpulver gegeben und erwarte jetzt natürlich ein Muskelwunder, das leider nicht eintritt. Es hilft nur, sich schneller eine Toilette zu suchen und am besten trinkt man keinen Kaffee dazu. Aber nein, ich bilde mir ein, mir passiert das nicht … IRRTUM! Keine weiteren Kommentare dazu…
Nach dieser Pause fällt es mir schwer, weiterzulaufen. Es ist nicht das Gepäck, sondern einfach diese unerträglichen Muskelschmerzen. Als ich den Espinal verlasse, um wieder auf dem Weg weiterzulaufen, geht es natürlich die Höhenmeter um einiges wieder runter, die ich in den letzten beiden Tagen rauf gelaufen war. Der Weg führt durch einen längeren Waldweg und der geht ziemlich bergab, beim Abwärtslaufen stossen meine Zehen erneut vorne an die Stiefelspitzen und ich sehe Sternchen… Also versuche ich, rückwärts zu laufen. Aber auch hier habe ich Pech, da ich an den Fersen zwei frische Blasen habe, die zwar versorgt sind mit Blasenpflaster und getapet, aber der Druck darauf ist gar nicht gut. Zwei Spanier laufen an mir vorbei und fragen, ob alles in Ordnung ist. Das sieht man sicher nicht oft, dass sich eine Pilgerin rückwärts nach Santiago bewegt. Sie geben mir den Tipp, es seitlich zu versuchen, gute Idee, das versuche ich sofort umzusetzen. Aber auch das geht nur eine bestimmte Zeit, dann bekomme ich wegen der falschen Bewegung starke Knieschmerzen. Was also tun? So bewege ich mich schlußendlich wie ein Kreisel immer mal wieder vorwärts, rückwärts und seitwärts nach unten und es geht sogar einigermaßen. Echt lustig! Conny goes to Santiago, Hallelujah!
Als die Strecke wieder flacher wird, halte ich es in den Wanderstiefeln nicht mehr aus. Ich muss siel ausziehen und Platz an meine Zehen und die Fersen lassen. Also wechsele ich die Schuhe und laufe jetzt in den Sommersandalen weiter, zum Glück regnet es gerade nicht. Es ist mir jetzt gerade egal wie das aussieht mit den weißen Socken, denn ich fühle mich sofort in den Sandalen um Längen besser. Teile des Weges sind wunderschön und ich freue mich, endlich besser vorwärts zu kommen.
Aber da habe ich leider die Rechnung ohne den Weg gemacht. Sobald es wieder steinig wird, muss ich schon wieder die Wanderstiefel anziehen, ich bin jetzt langsam am Verzweifeln. In den Sandalen ist es zwar für die Zehen und die Blasen angenehm, aber die Fußsohlen und die Gelenke machen das nicht lange mit. Also ziehe ich wieder die Stiefel an… auch das Wetter wird stürmisch und es beginnt zu regnen. Zunächst tröpfelt es nur. Mir ist das jedoch keine Warnung und ich sehe nicht ein, jetzt den Poncho heraus zu holen und so kommt es wie es kommen muss, plötzlich beginnt ein heftiger Schauer. Ich flüchte notdürftig unter einen Baum und zerre den Poncho heraus. Und was passiert… Ich bin bereits schön nass geregnet, bis ich das Teil endlich über mich und den Rucksack gezogen habe. Es ist wie im Witzfilm, jetzt hat es aufgehört zu regnen! Toll! Wie in einer Schwitztonne steckend, laufe ich mit dem Poncho weiter, es herrscht jetzt Saunatemperatur unter dem Plastikding! Das ist nicht mein Tag!
Die Herberge in Roncevalles ist zwar wunderschön, aber ich habe seit Orisson bisher nicht geschlafen. Da es mir von Stunde zu Stunde schlechter geht, gebe ich nach 11 km auf, ich kann nicht mehr. Ich schaue im Unterkunftsverzeichnis (das gelbe Heft der Jakobusfreunde-Paderborn, sehr zu empfehlen) nach, wo es in Viscarret eine Pension gibt. Der Ort ist zu klein, eine Herberge kann ich im Verzeichnis nicht entdecken. Und tatsächlich, mitten in der Ortschaft finde ich eine tolle Pension. Ich nehme mir für 30 Euro ein Zweibettzimmer für mich alleine mit Abendessen und will erst mal nur noch schlafen. Draußen zieht bereits ein Unwetter herauf und ich bin froh, dass ich mich entschlossen habe, es für heute gut sein zu lassen. Ich bin ja nicht auf der Flucht!
Ich muss noch erwähnen, dass ich mir ja auch noch für die Wanderstiefel Gamaschen gegen das Reinregnen in die Stiefel besorgt hatte. Fett beleibt mit Rucksack und Poncho, versuche ich, mir diese Gamaschen anzuziehen. Es ist so ein Gefummel mit den Dingern, dass ich sie, als ich den Reissverschluss schließen will, komplett zerstöre. Völlig unnötiger Kauf und gleich beim ersten Anziehversuch reif für die Mülltonne, wohin ich sie dann auch sofort befördert habe.
Vierter Tag (von Biscarret bis Zubiri)
Weg der Muschel und des Pfeils …
Es ist 7:00 Uhr in der Frühe, als ich meinen Weg von Viscarret nach Zubiri fortsetze. Laut meinem Pilger-Reiseführer sind es 13 km. Das ist ja keine Strecke und ich vermute, dass ich das auf meiner linken Pobacke abhüpfe! :0) Das denke ich so bei mir, als ich mir die Kilometer in meinem Pilgerreiseführer ansehe, die bis Zubiri vor mir liegen.
Aber der Weg führt ja durch Wald und Feld und mal rauf und runter, das läuft man leider nicht so schnell, wie man sich das vorstellt. So langsam begreife ich, was es mit dem Satz „Der Weg kriegt dich klein!“ gemeint ist. Das ist kein Spazierweg, wie es so schön romantisch in den Filmen vom Jakobsweg dargestellt wird. Auch ich erlag diesem Irrtum!
Nun denn, meine zwei Blasen hatte ich gestern Abend nach dem Duschen schon frisch versorgt und hoffe, dass das Tape dem heutigen Marsch standhalten wird. Eine Blase ist zwischenzeitlich auch bereits aufgegangen. Vom Wetter her ist es bedeckt, aber der Regen scheint sich verzogen zu haben und es bleibt trocken.
Der Weg führt erst ein Stück durch den Ort. Der Ort selbst ist winzig und hat gerade knapp 100 Einwohner. Es geht einen Radweg entlang vorbei an einem alten Friedhof. Ich muss direkt hoch und mir diesen verträumten Friedhof ansehen, er ist total zugewuchert und ich mache ein paar Bilder von den uralten Gräbern. Ein Stückchen weiter, endet der Radweg und ein schmaler Pfad führt in ein sehr dichtes Waldstück hinein. Rechts neben mir verläuft ein Zaun, vermutlich, um das Wild daran zu hindern, auf die Straße zu gelangen. An diesem Zaun hängen wieder jede Menge Kreuze und auch eine kleine Grabstätte ist dort errichtet. Das ist so unheimlich, weil ich weiß, dass ich hier alleine bin und so schnell niemand vorbei kommt. Ich werde auf einmal sehr flott und sehe zu, dass ich diesen Teil des Weges sobald wie möglich hinter mir lasse, mich gruselt es, ich komme gar nicht schnell genug voran, Hauptsache nur weg von diesem Waldstück. Ich blicke ein paar Kilometer weiter noch mit Gänsehaut zu diesem Gehölz hin. Wenn man den Weg mit den sonst vorgeschlagenen Etappen läuft, dann ist man meist mit einigen Pilgern auf dem Weg, aber ich hatte ja gestern unterbrochen. Die gestrigen Pilger sind also heute von Zubiri aus unterwegs und die Pilger, die gestern in Roncevalles angekommen sind, brauchen noch eine Weile, bis sie die Strecke aufgeholt haben. Die meisten Kilometern, die jetzt vor mir liegen wird mir wohl so schnell niemand begegnen.
Ich komme gut voran. Am Aussichtspunkt Erro-Pass mache ich eine kurze Pause, auf dem Pass gibt es einen tollen Panoramablick auf die Pyrenäen, da kann ich nochmal ordentlich Nachspüren :0) Ich setze mich und esse einen Teil des Bocadillos, den ich als Marschverpflegung aus der Pension mitgenommen habe. Er schmeckt lecker, aber das Essen will nicht an mich. Ich habe übrigens in den paar Tagen 5 Kilo abgenommen :0) Wer also plant, ein paar Pfunde zu verlieren, kann ja mal über diesen „Spaziergang“ nachdenken.
Nach der kurzen Pause geht es weiter. Der Waldweg ist jetzt zwar schön breit und übersichtlich zu laufen, trotzdem hat es teilweise wieder sehr rutschige Abschnitte und es geht auch wieder ordentlich steil hinunter mit viel Geröll, so dass ich mich auf den Weg konzentrieren muss, um nicht hinzufallen. Wenn man die Balance verliert, ist es aus, der Rucksack zieht einen unweigerlich zu Boden. Die Abwärtstour von Roncevalles hängt mir noch immer in den Knochen und noch mehr körperlichen Schaden kann ich jetzt nicht mehr vertragen. Ich habe nur noch die Sandalen an, da ich den Druck an den Zehen und den Blasen nicht aushalte in den Wanderstiefeln. Außerdem habe ich Angst, dass sich eine Blase entzünden könnte. Aber es läuft es sich gut und ich komme schnell vorwärts. Einige Kilometer vor Zubiri kommen die ersten Radfahrer an mir vorbei. Ich stehe mal wieder vor einem Grab, das einer dort gestorbenen Pilgerin gewidmet ist, da kommt man schon ins Grübeln, wenn man all die Kreuze und Grabstätten auf dem Weg sieht.
Kurz vor Zubiri überholt mich ein Japaner. Wenn der von Roncevalles in dem Tempo heute gelaufen ist, dann aber Hut ab. Ich sehe gleich, dass Zubiri ein größerer Ort sein muss, kurz vor Ortseingang steht eine große Stromanlage und aus ist es mit der ländlichen Idylle. Ich bin sehr früh da, es ist gerade mal 11:30 Uhr, ich habe also für die 13 km knapp 4 Stunden gebraucht. Das ist zwar nicht zügig, aber auch nicht lahm. In den Ort hinein geht es über eine zweibogige gotische Brücke, die sogenannte Tollwutbrücke. Der Brücke gab man diesen Beinamen, da die Legende erzählt, dass tollwütige Tiere, die man dreimal unter der Brücke hindurchführt, von der Tollwut geheilt sein sollen. Mir gefällt sie, ich finde es idyllisch und versuche, gleich nebenan in einer privaten Herberge ein Bett zu bekommen.
Fünfter Tag (von Zubiri nach Pamplona)
Herberge in Pamplona Zimmer Pamplona Pamplona
Die vergangene Nacht war leider doch nicht so entspannend, wie ich mir das in der Pension gewünscht hätte. Ich liege lange wach und als ich endlich hätte einschlafen können, beginnt ein Gast im Nebenzimmer so laut zu schnarchen, dass es durch die Wand zu hören ist. Dazu kommt, dass es auf einer Seite des Bettes völlig muffig gerochen hat, was zusätzlich noch gestört hat. Also schlafe ich kaum und beginne sehr früh meine heutige Etappe.
Gleich um 7:00 Uhr morgens laufe ich los, das Wetter ist super, endlich kein Regen mehr. Dafür steigen die Temperaturen relativ rasch nach oben. Zu Beginn des Weges komme ich an einer Magnesit Fabrik vorbei. Es ist sehr laut und dieses Stück der heutigen Etappe gefällt mir gar nicht. Es geht auch wieder auf und ab und der Weg ist streckenweise sehr dicht bewachsen, so dass ich mich mit dem Rucksack auf dem Rücken regelrecht bückend durchkämpfen muss, wenn ich nicht ständig Geäst im Gesicht haben will. Im nächsten Ort mache ich eine kurze Rast, um ein bisschen zu Frühstücken, es gibt dort einen Brunnen und Bänke. Sehr schön gemacht. Ein Rudel Katzen leistet mir dabei Gesellschaft und turnt um mich herum. Nach der kurzen Pause geht es weiter. Teilweise führt der Weg auch ein Stück eine Landstraße entlang, der Himmel ist wolkenlos und die Sonne fängt schon ordentlich zu brennen an. Mir wird es langsam beim Laufen gut warm. Beim nächsten Ort werde ich mir einen Café gönnen. So beschließe ich, nach Larasoana hineinzulaufen und nach einer Bar oder Bäckerei Ausschau zu halten. Der Ort ist wie ausgestorben und nichts ist los, ich muss durch den ganzen Ort hindurch, bis ich endlich eine Bar finde. Der Muskelkater und meine Füße machen mir zu schaffen und ich quäle mich durch diese Strecke. Teilweise sind vom Weg außerdem ganze Stücke herausgerissen, so dass man ohne Stöcke kaum laufen kann. Mir geht es immer schlechter und ich bekomme Wadenkrämpfe. So beschließe ich, mich nicht weiter zu kasteien und mit dem Bus nach Pamplona rein zu fahren, sofern das überhaupt möglich ist. Es ist Samstag und ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt ein Bus aus diesem Ort nach Pamplona fährt. Ein hilfsbereiter Spanier telefoniert für mich und klärt die Frage, vor der Herberge im Ort soll vormittags ein Bus abfahren. Also setze ich mich davor und warte ab. Und tatsächlich, er kommt! Das ist vielleicht ein merkwürdiges Gefühl, sich einfach in den Bus zu setzen und den Rest der Strecke zu fahren. Aber es geht an diesem Tag leider nicht mehr anders, das Letzte was ich jetzt noch gebrauchen kann wäre ein Muskelfaserriss!
Im Bus lerne ich eine andere Pilgerin kennen. Sie kommt von Zubiri, da sie auch einen Schongang einlegen muss. Die Pyrenäen haben ihr zugesetzt und jetzt bekommt sie gesundheitlich die Quittung. Sie muss pausieren.
In Pamplona angekommen, ist ordentlich Stadtverkehr. Der Busbahnhof ist mitten in der Stadt und ist riesig, das ist der reinste Schock, wenn man tagelang wie eine Landpomeranze durch die Natur gewandert ist. Dieser Lärm und die Hektik werden mit Sicherheit nicht meins werden auf dem Weg. Zusammen laufen wir quer durch die Stadt auf der Suche nach der Herberge Casa Paderborn, die ja überall in den Pilgerführern hoch gelobt wird. Nach einigen Kilometern wir setzen uns erst mal in ein Café und machen eine Pause, um zu überlegen, wo wir als nächstes lang müssen. Im Café versucht sie ihren Schlafsack los zu werden, den sie doch nicht benutzt. Der Kellner versteht nicht, was sie meint und denkt, sie will den Schlafsack wegen Wanzen in die Gefriertruhe legen lassen … ich lache mich schief, so lustig ist das. Auch sie hat viel zu viel Gepäck dabei, was ihr sehr zu schaffen macht. Ihr Rucksack hat 40+10 Liter, das ist Wahnsinn. Ich habe gerade mal 30+10 Liter und das reicht mir schon gepäckmäßig.
Nach der kurzen Pause machen wir uns wieder auf die Suche, laut unserem Stadtplan sind wir nicht mehr weit davon entfernt, aber irgendwie liegt sie so versteckt, dass wir fragen müssen. Ein Spanier, den wir nach der Richtung fragen, erzählt, dass der Fluß Hochwasser hatte und die Herberge seit 14 Tagen wegen Hochwasser geschlossen sei. Wir laufen trotzdem hin, vielleicht hat sie ja wieder geöffnet in der Zwischenzeit. Und wir haben Glück, sie hat tatsächlich heute den ersten Tag wieder geöffnet. Offensichtlich hat es sich noch nicht herumgesprochen und wir sind die ersten Pilger und checken ein.
Sechster Tag (von Pamplona nach Uterga)
Pamplona Aufzug Verwitterter Weg Umweg Eunate
Für die heutige Etappe hatte ich am Abend zuvor mit einer anderen Pilgerin verabredet, dass wir uns morgens vor dem langen Marsch Pamplona ansehen und Bilder machen wollen. Am Abend zuvor war das nicht möglich, da zum einen in der Kirche eine Trauung stattfand und zum anderen Pamplona mit Feiernasen übersäht war. Aber leider haben wir Pech, die Kirchen haben morgens noch geschlossen, obwohl wir dachten, dass das Sonntags anders sei und so können wir sie uns nur von außen betrachten. In der Stadt sind noch immer Betrunkene unterwegs und singen uns Lieder hinterher. Es sieht noch alles unordentlich aus und in den Gassen liegen teilweise leere Flaschen, Gläser und Plastikbecher herum. So ist das wohl, wenn man an einem Wochenende, an dem irgendein Fest gefeiert wird, in Pamplona ist.
Wir legen schon am Morgen einige Kilometer in der Stadt zurück und bis zur weiteren Etappe ist es auch nochmal ein ordentliches Stück zu laufen. Da wundere ich mich im Nachhinein nicht, dass ich später am Nachmittag so abgebaut habe.
Der Himmel ist strahlend blau und wolkenlos, schon am Morgen wird es ziemlich warm. Und je weiter es auf die Mittagszeit zugeht, um so wärmer wird es. Die Vorhersage hatte 30 Grad angekündigt, aber auf dem Weg hoch zum Alto del Perdon ist es wesentlich wärmer. Zu Anfang lässt sich für mich der Weg gut laufen, nur die Steigungen machen mir zu schaffen. Da ich ohne Dämpfungssohlen laufen muss, spüre ich natürlich jeden Stein unter den Fußsohlen, aber mit geht momentan gar nicht, die Schuhe sind mir einfach damit zu eng. Im nächsten Ort legen wir eine kurze Pause ein, eine schlechte Nachricht von zu Hause trübt zusätzlich meine Stimmung und so nimmt das Elend an diesem Tag seinen Lauf… Ich laufe immer mal wieder ganz für mich allein und lerne unterwegs eine amerikanische Pilgerin kennen. Wir laufen ein Stück gemeinsam. Ich frage sie, warum sie von Amerika den weiten Weg macht, um auf dem Camino zu laufen, sie meint, der Camino habe so viel Zeitgeschichte und das gäbe es in dieser Art bei ihr nicht. Ein weiterer Grund sei, dass die Route organisatorisch sehr gut zu laufen sei (Herbergen etc.). Da kann ich ihr nur zustimmen.
Je später es wird, um so heißer wird es. Der Weg ist offen und hat keine Bäume. Nur teilweise findet sich ein schattiges Plätzchen, das dann aber meistens schon von anderen belegt ist. Ich trage idiotischerweise ein ärmelloses T-Shirt und die Sonne brüllt die ganze Zeit auf meinen linken Arm. Zwar habe ich Lichtschutzfaktor 50 aufgetragen, aber das hat mir leider nichts genutzt. (Am nächsten Tag habe ich Brandblasen auf dem linken Oberarm.) Je höher es auf die Spitze in Richtung Pilgerfiguren geht, um so steiniger und steiler wird auch der Weg. Ohne die Einlagen in den Schuhen wird diese Strecke für mich langsam zum Albtraum, die Schmerzen werden unerträglich, es ist die reinste Quälerei und ich kann bis zur nächsten Ortschaft nichts tun. Als ich dann endlich den Gipfel mit den eisernen Pilgerfiguren erreiche, bin ich völlig am Ende. Ich kann nicht mal etwas essen so fertig bin ich.
Das also ist der Alto del Perdon – der Berg der Läuterung -. Auf den eisernen Pilgerfiguren steht in spanischer Schrift: „Wo sich der Sternenweg mit dem Weg des Windes kreuzt“. Die Aussicht ist phänomenal und der Wind rauscht nur so. Es ist ein Irrtum zu denken, die Pilgerfiguren stehen bei den Windrädern. Natürlich stehen sie da, aber es stehen noch mehr Windräder, so dass man sich bezüglich der Länge dieser Etappe gewaltig irrt…
Ich kann es leider nicht richtig genießen. So filme ich, mache Bilder und sehe dann mit Grausen, dass der Abstieg eigentlich noch schlimmer ist. Es geht steil, steinig und sehr uneben bergab. Auf gar keinen Fall kann ich den Abstieg ohne die dämpfenden Innensohlen machen, denn meine Füße brennen sowieso schon wie Feuer und die Wadenmuskulatur ist dermaßen verkrampft, dass ich schon ahne, was da gleich auf mich zukommt.
Aber ich muss ja runter und so versuche ich halt langsam den Berg herunterzulaufen. Es ist einfach nur die Hölle. Solche Schmerzen hatte ich bis jetzt noch nicht gehabt und die Krämpfe in den Waden werden unerträglich. Irgendwann kann ich einfach nicht mehr und als endlich eine Bank kommt, sinke ich nur noch erschöpft darauf nieder, heule wie ein Schlosshund und kann nicht mehr aufhören. Ich weiß nicht mehr was ich machen soll … ich bin so verzweifelt. Und wenn man denkt es geht nicht mehr … kommt von irgendwo ein Lichtlein her :0). Die amerikanische Pilgerin kommt vorbei und bietet mir an, dass sie für mich meinen Rucksack weiter trägt. Dann kommt noch eine andere Pilgerin – ich glaube es kaum – sie ist Yogalehrerin und sie versucht mir mit Übungen zu helfen, meine Wadenmuskulatur etwas zu entkrampfen. Und dann kommt noch eine Pilgerin und sie bietet mir an, dass sie direkt zur Herberge läuft, um dort für mich ein Bett zu reservieren, so dass ich nur noch bis Uterga laufen muss.
Die Amerikanerin begleitet mich auf dem Weg dorthin und erzählt mir aufmunternde Geschichten, um mich abzulenken. Irgendwie bringe ich dieses Stück des Weges hinter mich und bin froh, als ich endlich ankomme. Ich bin sprachlos über diese Selbstlosigkeit und das Gemeinschaftsgefühl auf dem Jakobsweg, so etwas habe ich bisher noch nicht erlebt. Das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich mich so mit dem Weg verbunden fühle. Ich weiß auch nicht, wie ich das Gefühl beschreiben soll. Ich glaube, dass jeder, der den Weg bereits gegangen ist, weiß, wovon ich gerade spreche.
Im Nachhinein betrachtet, kommen mir all die Filme, die ich über den Jakobsweg gesehen habe, vor wie Märchenfilme. Nach dieser Erfahrung kann ich darüber nur lachen, das ist so verniedlicht dargestellt. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass der Körper zwei Wochen braucht, bis er sich an die ungewohnte tägliche Belastung gewöhnt hat. Als ich aus dem Urlaub nämlich vom Bahnhof zurückmarschiere brauche ich 10 Minuten und vergieße nicht einen Tropfen Schweiß!
Pilgerdenkmal Wo sich der Weg des Windes mit dem der Sterne kreuzt
Siebter Tag (von Uterga nach Puente la Reina)
Eunate Eunate Boden der Kirche von Eunate (Weizenähre) Weg zur Brücke Puente la Reina
Da die Nachtruhe mal wieder gestört wurde, bin ich auch an diesem Tag zeitig auf dem Weg. Obwohl es mir bei der gestrigen Etappe sehr schlecht ging, bin ich überrascht, dass ich heute problemlos weiterlaufen kann. Gestern hätte ich keinen Meter mehr gehen können. Mich wundert noch immer diese selbstlose Hilfbereitschaft der anderen Pilger auf dem Weg, das ist so anders als zu Hause, wo jeder nur an sich denkt. Hier bekommen die kleinen Dinge einen neuen Wert und das gibt einem ordentlich Kraft, die man auf dem Weg braucht, wenn man so untrainiert daran geht, wie ich es gemacht habe. Ich bin so lädiert von diesem Urlaub, das glaubt mir kein Mensch. Aber trotz alledem ist es wunderschön, sehr intensiv, sowohl körperlich als auch geistig kann man noch schön lange diesen Erlebnissen nachspüren, muss ich heute mit einem Schmunzeln sagen. Das wird im nächsten Jahr völlig anders, Projekt -15 ist nämlich angesagt und das beginnt gnadenlos ab Januar bis Ende Mai, ab Juni bin ich ja dann wieder weg!
Aus einem persönlichen Grund laufe ich heute einen Umweg über Eunate. Dort steht eine alte oktogonale Kirche aus dem 12. Jahrhundert – St. Maria de Eunate -. Laut Outdoorführer soll dies ein sehr spiritueller Ort sein, man soll darin eine zentrierende und sammelnde Kraft spüren. Leider hat die gute mystische Kirche ihre Pforten geschlossen. Ich wäre ja gerne ein paar Mal barfuß um die Kirche herum geschritten, um die angebliche mystische Atmosphäre spüren zu können. Man schaue sich allein den Boden (es sollen Weizenähren nachgebildet sein) vor der Kirche an (siehe Bild). Mir hätte es tatsächlich gut getan, wenn ich fortan den Weg hätte fliegen können, bei meinen geschundenen Füßen! Aber es soll nicht sein. Die Öffnungszeiten hatte ich mir leider vorher nicht angesehen und montags hat sie sowieso geschlossen. Mich befremdet diese Einstellung so langsam. Als würde sich der Pilger nach Uhrzeiten richten. Ja eben gerade nicht! Deswegen ist man ja unterwegs. Trotz allem ist die Kirche auch von außen sehr schön und der Umweg lohnt trotzdem.
Beim Laufen denke ich, dass nach Uterga direkt Obanos folgt. Nein! Es folgt Muruzábal. Da hatte ich mich leider getäuscht, ich vergesse immer wieder, wieviel kleine Orte eigentlich zwischen den großen Etappen liegen. Das werde ich für das nächste Jahr besser recherchieren müssen, und zwar vor der Reise. Wenn man die Filme im Originalton hört, dann sind da falsche Angaben. Na ja, dafür stelle ich es ja in den Etappenberichten richtig. Da wird einem klar, wie weit die Orte, die als Kernpunkte genannt werden, eigentlich tatsächlich sind.
Mir geht es bei der heutigen Etappe gut, denn es geht kaum bergauf oder bergab. Bis auf meine Brandblasen am linken Oberarm und eine weitere Blase am Fuß läuft es sich prima. Auch den Sonnenschutzfaktor 50 muss ich neu überdenken. Das reicht anscheinend nicht bei dem stundenlangen Wandern durch die Sonne. Gut zu wissen!
In Obanos setze ich mich gegen 10:00 Uhr vor eine Bar und genehmige mir mein erstes Frühstück und zwei Cafés. Einen Stempel für meinen Pilgerpass staube ich hier auch gleich ab, die sind wirklich sehr schön und in fast jeder Bar in den Zwischenorten sollte man danach fragen, wenn man den Streckenverlauf damit dokumentieren möchte. So weiß man auch immer, wo man überall durchgelaufen ist. Mit ein paar anderen Frauen, die auch eine kurze Pause einlegen, plaudere ich über die bisherigen Etappen. Eine ältere Dame, die ich nach ihrem Grund frage, noch in ihrem Alter sich diese Mühsal anzutun, teilt mir mir, dass sie sich vom Weg gerufen fühle. Ich bin entzückt, denn das kommt mir so bekannt vor. Jetzt bin ich nicht mehr allein mit dieser Aussage, das freut mich. Die anderen Pilgerinnen frage ich nach ihren Wanderschuhen aus. Denn ganz im Gegensatz zu mir haben sie keine Blasen. Und wieso wohl? Weil sie die Schuhe gleich zwei Größen größer gekauft haben in einem Fachgeschäft.
Anschließend geht es gemütlich weiter. Die Kirche von Obanos ist natürlich auch geschlossen. Schade, ich schaue mir so gerne diese alten Kirchen an und es ist angenehm kühl im Inneren, da kann man den Kreislauf etwas schonen. Also geht es weiter Richtung Puente la Reina, meinem heutigen Tagesziel. Sicherlich wundert es ein wenig, dass ich nicht mehr Kilometer laufen möchte. Aber das Ziel für diesen Urlaub hatte ich mit den Pilgerfiguren bereits erreicht und für nächstes Jahr wollte ich eigentlich nicht mehr Weg vornewegnehmen. Meine Erfahrungen hatte ich hinter mir und so wollte ich langsam machen.
Als ich in Puente la Reina ankomme, überlege ich, ob ich in die örtliche Herberge gehe, aber es ist noch viel zu früh, sie hat noch geschlossen und außen liegt eine merkwürdige Gestalt vor der Herberge herum. Also gehe ich in den Ort hinein und schaue mich um. Die „Brücke der Königin“ ist der Hit. Superschön genau so wie auf den Bildern. Sofort werden von mir Bilder gemacht und gefilmt, anschließend laufe ich durch den Ort und gehe auch in eine Apotheke, um mir „Flammenspray“ gegen den Sonnenbrand zu kaufen, der auf dem Oberarm wütet! Das Spray heißt übrigens tatsächlich so :0). Zum Glück bin ich bezüglich meiner körperlichen Lädierungen mit viel Humor gesegnet. Andere hätten vermutlich schon längst die Flucht ergriffen in die heimeligen Gefilde. In Puente la Reina bzw. Obanos treffen übrigens alle vier Jakobswege zusammen, die dann nur noch als einen Weg den „Camino de Santiago“ bilden. Ab hier führt nur noch ein Weg nach Santiago de Compostela und ab hier wird mit Sicherheit auch die Zahl der Pilger steigen, die unterwegs sind. Bisher war ich meistens alleine und habe kaum Pilger getroffen, außer morgens natürlich beim Loslaufen.
So schlendere ich gemütlich über die Brücke hinein in den Ort. Einige Meter nach dem Tor entdecke ich ein kleines Weingeschäft mit schönen handgefertigten Schmuck und Nippes. Ich plaudere mit der Verkäuferin und frage nach, wo ich eventuell eine private Pension finde und siehe da, direkt im selben Haus. Wir werden uns schnell einig und ich habe die riesige Wohnung für diese Nacht ganz für mich alleine.
Achter Tag (von Puente la Reina nach Burgos)
Mit den Schirm in der Hand setze ich meinen Weg fort, allerdings erst mal nur innerhalb von Puente la Reina. Wenn jetzt nicht in der nächsten Stunde der Regen nachlässt, muss ich mir überlegen, ob ich wirklich weiterlaufe. So gehe ich erst mal einen Kaffee trinken und lasse noch ein wenig Zeit vergehen. Von meiner körperlichen Verfassung her, wäre jetzt tatsächlich der beste Zeitpunkt, den Weg zu unterbrechen und nächstes Jahr den Jakobsweg ab hier weiter zu laufen. Es ist mittlerweile Dienstag und Freitag muss ich um 10:00 Uhr wieder am Bahnhof in Bayonne sein, denn dann geht der Zug zurück in die Heimat.
Der Entschluss, den Weg zu unterbrechen, entwickelt sich erst im Laufe des Tages. Ich sehe in der Bar nach dem Aushang und der Abfahrt des Busses, der in Richtung Estella fährt. Ich beschließe, die restlichen Tage dazu zu nutzen, mir noch ein wenig die folgenden Etappen, insbesondere Burgos, anzuschauen. Also setze ich mich schließlich in einen Bus Richtung Estella und fahre los. Es ist ein sehr komisches Gefühl, jetzt so nah am Weg in einem Bus neben dem Jakobsweg vorbei zu fahren. Es ist richtig unreal und diese Beschleunigung kommt mir sowas von falsch vor. Ich fühlte mich mitterweile so mit dem Weg verwurzelt, dass es mir vorkam, als hätte man mich von ihm „abgenabelt“. Ein schreckliches Gefühl und innerlich zerreißt es mich schier, andere Pilger auf dem Weg laufen zu sehen, mit ihren Ponchos, kämpfend gegen den Wind und den Regen, Richtung Santiago. Das klingt ziemlich nach Tragödie, aber es fühlt sich leider so in mir an. Ich mache die Unterbrechung nicht gerne und habe Zweifel während der gesamten Busfahrt. Also versuche ich den Hebel umzulegen und den Rucksack auf meinen Schultern zu ignorieren. Ich versuche es positiv zu betrachten und die letzten Tage des Urlaubs ein bisschen vorzuschnuppern in die größeren Orte, kann ja nicht verkehrt sein. Mein Ziel ist jetzt Burgos, ich möchte wenigstens die Kathedrale dort sehen. In Estella angekommen, habe ich eine Stunde Aufenthalt, bis der nächste Bus Richtung Logrono abfährt, ich schaue mir ein bisschen die Stadt an. Aber es gibt nicht viel, dass ich in einer Stunde besichtigen könnte. Also laufe ich herum und filme ein wenig. An Logrono habe ich schon gar keine Erinnerung mehr, das war vermutlich auch nur eine kurze Pause und ich bin direkt weiter nach Burgos gefahren.
Ich komme gegen ca. 18:00 Uhr in Burgos an. Das ist jetzt auch etwas, was ich nie mehr machen würde. So spät in einer Großstadt anzukommen. Ich laufe sofort zur Touristik-Information, um mich nach einigermaßen günstigen Pensionen zu erkundigen. Auf dem Weg laufe ich an der Kathedrale vorbei. Wenn man nicht weiß, wie groß und monströs sie in der Stadt thront, erschlägt einen dieser Anblick. Am liebsten würde ich erst mal davor festwachsen, aber ich muss mich leider erst mal um ein Nachtquartier kümmern. In der Touristeninfo bekomme ich einen Stadtplan auf dem mir die freundliche Mitarbeiterin auch gleich die entsprechenden Pensionen markiert. Also ziehe ich los, um sie nach und nach abzuklappern. Die Herberge in Burgos neben der Kathedrale ist natürlich schon voll und es gibt keine freien Betten mehr. Fände ich allerdings auch unverschämt heute dort übernachten zu wollen, da ich ja nicht gelaufen bin. Ich habe leider kein Glück, alle Pensionen sind bereits ausgebucht. So ziehe ich in Burgos meine Runden und suche nach Hotels. Es wird immer später und so bleibt mir schlußendlich nichts anderes übrig, als in ein Fünf-Sterne-Hotel zu gehen. Als ich bei meiner Ankunft daran vorbei lief, dachte ich noch, da gehe ich sicherlich nicht hinein. Aber je später der Abend wird, um so ungemütlicher wird es und teilweise sind halt auch ein paar merkwürdige Gestalten unterwegs. Da habe ich so alleine kein gutes Gefühl, also bleibt mir nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und dort ein Zimmer zu nehmen. Vom Preis her geht es eigentlich sogar noch.
Neunter Tag (Burgos)
Kathedrale Burgos Café con Leche mit Boccadillo
So gemütlich das Himmelbett in diesem Hotel auch ist, hält es mich nicht lange fest am nächsten Morgen. Es ist Mittwoch und mir bleiben noch zwei Tage von meinem Urlaub, also bin ich um 8:00 Uhr schon wieder startklar.
Eigentlich hatte ich beschlossen, noch einen Tag länger in Burgos zu bleiben. Aber als ich an der Rezeption die Zimmerkarte abgebe, erkundige ich mich nach Zügen für meine Rückreise nach Bayonne und welche ich eventuell nehmen könnte, um Freitag früh meinen Zug in Bayonne nach Paris zu bekommen. Doch hier erfahre ich, dass es eine lange Strecke ist und der Preis für ein Ticket ist hoch, es würde mich ca. 350 Euro kosten. Wenn ich den Bus zurück nehme, bin ich zwar einen ganzen Tag unterwegs, aber der Bus kostet mich nur 17,00 Euro. Was gibt es da noch zu überlegen? Ich nehme also den Bus am späten Nachmittag nach Irun, um Donnerstag früh von dort aus nach Bayonne zu fahren. So mache ich mich auf den Weg zum Busbahnhof und kaufe mir ein Ticket für ca. 16.30 Uhr, das mich bis nach Irun bringt, so habe ich zumindest noch einen halben Tag in Burgos.
Ich laufe durch Burgos und schaue mir die Innenstadt an. Die Kathedrale haut mich förmlich aus den Socken. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie so gewaltig ist. Es braucht auch locker 2 Stunden, bis man sich alles in Ruhe angeschaut hat. Leider regnet es ununterbrochen, das Wetter wird nicht mehr besser und Spanien versinkt förmlich im Regen. Dazu ist es windig und kalt. Ein Pluspunkt hat die Reise nach Burgos für mich. Ich könnte diese Stadt bei meiner großen Tour 2014 auslassen. In der Herberge Casa Paderborn hatte mir schon ein anderer Pilger geraten, zumindest stadteinwärts den Bus zu nehmen, da es 9 Kilometer zu Fuß in die Innenstadt sind. Da ich Burgos bereits angesehen habe, auch meinen Stempel habe ich mir bereits in der Herberge in meinen Pass geben lassen, werde ich diese Großstadt nicht mehr besuchen, sondern direkt weiter den Weg zum nächsten Ort gehen, das ist zumindest mein Plan. Aber wer weiß, was 2014 kommt, wenn ich los laufe. Immerhin bin ich dann schon bereits mehr als 200 Kilometer gewandert und es kann ja sein, dass ich dann anders entscheide. Das überlasse ich meinem Gefühl. Vielleicht will ich ja doch nochmal hier her.
Am Nachmittag mache ich mich zum Busbahnhof. Die Fahrt ist lang und ich kann immer wieder zwischendurch vom Busfenster den Camino sehen. Da macht sich schon die Sehnsucht breit, endlich wieder auf dem Weg sein zu können. Es hat viele Zwischenstopps, ein paar der Orte sind wunderschön. Da frage ich mich, warum dort nicht der Camino durchführt…
Was ich nicht wieder tun würde ist, den Bus zu so später Stunde zu nehmen. Ich hatte nicht bedacht, dass ich spätabends am Busbahnhof ankomme. Wenn man als Frau alleine reist, sollte man besser vorher über die Ankunftszeiten nachdenken. Am Bahnhof frage ich noch bei der Information, wie ich am besten am nächsten Tag nach Bayonne komme. Ich erfahre, dass ich zur Metrostation müsste, denn dort fahren Züge nach Hendaye und von dort aus könnte ich weiter nach Bayonne mit dem Zug fahren. Anschließend sehe ich zu, dass ich mich von der Bahnhofsgegend entferne und mir eine Pension suche. Ich werde relativ schnell fündig. Ein paar Straßen weiter sehe ich in einer Seitenstraße das Hinweisschild auf eine Pension und es ist auch noch ein Zimmer frei. Die Preise für die Pensionen in Spanien sind in Ordnung. Man zahlt für eine Übernachtung so ca. 20,00 bis 30,00 Euro im Schnitt.
Am nächsten Morgen mache ich mich dann zur Metrostation, um den Zug von Hendaye nach Irun zu nehmen. Von dort aus kann man dann in den Bus nach Bayonne steigen, der direkt am Bahnhofsvorplatz abfährt. Irgendwann steigt dann ein junger Obdachloser mit einem halben Surfbrett in den Bus. Unterschwellig nehme ich wahr, dass ich von diesem gemustert werde. Er sieht ungepflegt aus und ihn umgibt ein unangenehmer Geruch. Er sitzt eine Reihe vor mir, denn ich stehe in der Mitte vom Bus, weil ich mit meinem schweren Rucksack schlecht Platz auf den Sitzen im vollbesetzten Bus finde. Er hat sein Surfbrett absichtlich vor die Türe platziert, damit er gleich mitbekommt, wenn ich aus dem Bus aussteige. Zum Glück kenne ich mich ein wenig in Bayonne von der Hinreise aus und als sich die Türen des Busses am Bahnhofsvorplatz öffnen, stürme ich direkt nach links Richtung Innenstadt. Ich nehme im nächstbesten Hotel direkt ein Zimmer, um meine Ruhe zu haben. Mein Zug nach Paris geht ja erst morgen früh. Ich bin erleichtert, die Gestalt los geworden zu sein. Den Nachmittag genieße ich noch ein wenig in der Stadt zum Einkaufen und lege mich früh ins Bett.
Rückreise
Am nächsten Morgen mache ich mich bereits um 8:00 Uhr nach unten zum Frühstück. Anschließend hole ich meinen Rucksack und checke aus. Der Bahnhof liegt direkt um die Ecke, ich gehe zum Gleis, auf dem mein Zug nach Paris abfährt. Ich setze mich auf eine Bank. Plötzlich geht die gegenüberliegende Schiebetür auf und drei Mal darf man raten, wer dort wohl steht … der Obdachlose von gestern :0( Ich sehe genau, wie es ihn förmlich durchzuckt, mich alleine am gegenüber liegenden Gleis sitzen zu sehen. Mir rutscht das Herz in die Hose, damit habe ich nicht gerechnet. Sofort kommt er rüber auf dasselbe Gleis gelaufen. Ich sattele mich und binde mir meine Leinentasche unter meinen großen Rucksackriemen. Ich möchte sofort startklar sein falls das nötig wird. Ich habe Glück! Ein Paar, das mit den Rädern gerade von der Camino-Tour auf der Rückreise ist, kommt ebenfalls am Gleis bei mir an. Ich beginne mit ihnen eine Unterhaltung über den Jakobsweg – was ein Glück, ist es so einfach, andere Caminopilger anzusprechen.
Mein Rucksacksatteln wird anscheinend so interpretiert, als würde ich auch in den nächsten Zug, der gerade am Gleis einfährt, einsteigen wollen. Wie schön, denn genau in diesen Zug steigt dann auch dieser seltsame Typ ein… herrlich und verschwindet aus meinem Leben. Der nächste Zug der kommt, ist dann mein ICE nach Paris.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass mir diese Bahnhof-Erfahrung gereicht hat. Meine An- und Rückreise mit dem Zug war außerdem sehr zäh. Ca. 12 bis 14 Stunden unterwegs zu sein und nur auf Bahnhöfen, werde ich mir für meine Folgereise nicht mehr antun. Eine Flugreise hält einem solche Erlebnisse fern, weil für den Transitbereich in Flughäfen ein Ticket benötigt wird. Ich hasse zwar Fliegen, aber noch schlimmer finde ich solche Situationen. Also fliege ich lieber beim nächsten Mal.
Abends um 21:00 Uhr komme ich in Frankfurt am Bahnof an, ich steige direkt 10 Minuten später in die Regionalbahn nach Hause. Bei uns scheint die Sonne, es ist wunderschönes Wetter. Ich bin ein bisschen wehmütig, dass die Reise zu Ende ist, aber ich bin auch glücklich, diese Erfahrung gemacht zu haben und wieder zu Hause zu sein. Vom Bahnhof lasse ich mich nicht abholen. Ich steige aus dem Zug. Den Rucksack merke ich nicht mal. Ich setze mir meinen Ipod auf und höre Passenger – Things that stop you dreaming, der Song für den Beginn meiner Reise und die Acoustic Version von “Staring at the Stars” und bin sofort wieder im Geiste auf dem Camino, wenn ich nur die ersten Töne höre. Insbesondere die Acoustic-Songs auf der CD sind wunderschön. Das ist auch jetzt noch so, sobald ich diese Songs höre, habe ich sofort Sehnsucht nach dem Camino. Hätte ich nicht gedacht!
Als ich vom Bahnhof nach Hause laufe, kann ich es kaum glauben. Ich brauche gerade mal 10 Minuten. Ich habe weder einen hohen Puls, noch vergieße ich eine Schweißperle. Ganz nebenbei habe ich 5 Kilo abgenommen und fühle mich pudelwohl.