Prolog
Bitte unbedingt auch die grundsätzlichen Gedanken zu Caminos lesen!
Anfang Mai 2018 ist es so weit: Es soll endlich eine „echte“ Compostela her! Machbar mit dem Jahresurlaub ist der Portugues, der eigentlich in Lissabon beginnt, in aller Regel jedoch von den meisten Wanderern ab Porto begangen wird. Mit einem Gabelflug über Brüssel erreichen wir (die selbe Truppe wie 2016 Norte Teil 1) schließlich Porto. Hier kommen wir in einem Hostel unter, ein Japaner teilt mit uns das Zimmer. Da wir morgen aus der Stadt durch ein riesiges Industriegebiet gehen müssten, folgen wir der Empfehlung des Pilgerführers und wollen mit dem Bus dieses Stück zurücklegen, um dann direkt an der Küste zu beginnen.
Nachdem wir in der Kathedrale den Anfangsstempel in den Pilgerausweis bekommen haben, gehen wir nochmal an die Bushaltestelle, um die morgendliche Abfahrt zu checken…
05.05.2018
Kurz nach 6 Uhr verlassen wir die Unterkunft und gehen zur Haltestelle, der Bus bringt uns durch das üble Gebiet und an der Endstation… sind wir erst etwas ratlos, finden dann aber schließlich den Weg, welcher uns direkt ans Meer führt. Herrlich, jetzt geht es „richtig“ los, bei allerbestem Wetter! Etliche Kilometer entlang am Meer, an traumhaften Buchten und einsamen Stränden entlang. Ziemlich ausgelaugt machen wir in einer Strandbar eine längere Rast, es ist sehr heiß. Zum Glück tragen wir alle UV-abweisende Kleidung, dazu noch reichlich Sonnencreme. Leider ist das Hostel, das wir uns ausgesucht hatten belegt, aber die Dame an der Rezeption bringt uns freundlicherweise in eine Unterkunft um die Ecke. Schönes, sauberes Zimmer und sogar noch etwas billiger. Wir zahlen 50.- €, da kann man nicht meckern. Duschen, Wäsche waschen, einkaufen. Das werden unsere ersten Beschäftigungen nach den Tagesetappen die nächsten Wochen sein. In einem von zwei jungen Brasilianern geführten Lokal essen wir vorzüglich, mit Ausnahme der Steaks. Aber das scheint ein generelles Problem in Portugal zu sein.
Nach einem letzten kleinen „Zimmerport“ geht das Licht aus und der Erschöpfungschlaf hält nach über 30 km Tagespensum Einzug.
06.05.2018
Eine Nacht des Grauens. Der linke Unterschenkel krampft und zwar in der Wade UND an der Vorderseite… Da bekommt das Wort „schmerzhaft“ eine völlig neue Bedeutung. Aber alles hat ein Ende, so auch diese Nacht und nachdem wir gegen 6 Uhr raus aus den Betten sind und alles gepackt haben, geht es weiter, das Meer ständig linker Hand zum Greifen nah. Conny hat die Füße voller Blasen und so quälen wir uns weiter. Es geht etwas ins Hinterland, vorbei an Gemüsefeldern in ländlicher Idylle. Schließlich ist die Mittagshitze dermaßen unerträglich geworden, dass wir uns abseits des Wegs für eineinhalb Stunden im Schatten pausieren. Todesähnlicher Schlaf auf ausgebreiteten Handtüchern… Immerhin, es hilft etwas. Bis Fao spielen wir mit einer Hutzel Fußball, so kommt man auch weiter.
In Fao selbst finden wir ein schönes Zimmer, sogar mit Flussblick! Conny hat beschlossen morgen zu pausieren, um ihren Füßen eine Chance der Erholung zu geben. Wir beiden anderen werden die Etappe nach Viana do Castelo laufen, so der Plan.
Nachdem wir beim „Schaffnix“ von Fao hervorragend gegessen haben, geht’s zur wohlverdienten Nachtruhe.
07.05.2018
Um 6.00 Uhr ziehen meine Begleitung und ich los, es dämmert leicht und nicht eine Wolke ist am Himmel. Anfangs geht es an einer Straße entlang, weg vom Meer. Wer behauptet, der Portugues habe keine Steigungen, sollte diese Etappe mal machen…
Hügel um Hügel geht es vorwärts, es ist warm. Eine erste Pause gegen 11.30 Uhr, „er peitschte mich den Weg lang, ich hab´s geahnt!“ sollte ein Running Gag werden 😁
Mittlerweile ist es wie in einem Brutkasten, unter Bäumen am Wegrand liegt ein erschöpfter Pilger, egal! Weiter! Weiter! Die restlichen 6 km legen wir auch noch zurück und über eine ewig lange Brücke laufen wir in die „Schirmchenstadt“ ein. Conny erwartet uns am Ortseingang und führt uns zum gebuchten Dreibettzimmer. Nach gut 30 km haben wir uns eine Dusche und etwas Ruhe verdient.
Nach einem Stadtbummel essen wir in einem Lokal direkt am Hafen und gegen 21.00 Uhr ist dann langsam Schluss.
08.05.2018
Nach einem 6.00 Uhr Kaffee geht es am Hafen entlang raus aus der Stadt. Wenige Kilometer weiter biegen wir ins Innere ab, es ist wieder heiß. Leider entgeht uns dadurch eine der schönsten Stellen auf dem Weg. Das ist übrigens die Etappe, die wir bei unseren anderen Wegen (Finisterre, Muxia) immer wieder laufen, allerdings in Richtung Porto (ausgehend von Vila Praya de Ancora nach Viana do Castelo, auch hier zu lesen). Irgendwann führt uns der Weg aber wieder ans Meer zurück und nach einen Kaffee in einer Nobelstrandbar geht es Richtung Vila Praya. Leider ist der Steg, der direkt am Strand weiterführt, noch eine Baustelle, so müssen wir einen heftigen Umweg laufen. Die Touristinfo am Strand gibt uns den Tipp 500m weiter anzufragen, dort erhalten wir ein paar Betten und ein Zimmer. Küche ist auch dabei, das alles mit herrlichem, direktem Meerblick, Gitarre zur Benutzung inklusive.
Um die Ecke finden wir ein kleines Lokal und speisen wirklich fürstlich für…. 37.- €. Für uns drei wohlgemerkt, mit gutem Wein!
09.05.2018
Gegen 7.00 Uhr geht es weiter, noch ein gutes Stück am Meer entlang, bis uns eine wenig schöne Strecke zum letzten Städtchen in Portugal, Caminha, führt. Von hier geht es für 1,50 € p.P. mit der Fähre über den Rio Miño nach Spanien. Bergan durch Eukalyptuswälder erreichen wir schließlich Arguarda, wo wir relativ früh das letzte Hostel nehmen, bevor ein sehr langer Wegabschnitt beginnt, auf dem „nichts“ ist. Wir müssten also nochmals 20 km „Durststrecke“ zurücklegen, bevor wir die nächste Möglichkeit unterzukommen hätten. Das ist uns entschieden zu viel, so sind die 43.- € für ein schönes Zimmer mit separatem Bad gut angelegt.
10.05.2019
Gut, dass wir gestern nicht weiter gelaufen sind, diese Etappe hat es in sich! Um 5.00 Uhr ertönt der Weckruf, die Damen sind wenig begeistert, aber so ist das Leben. Im Mondlicht folgen wir der Küste, um dann irgendwann festzustellen: Total falsch, hier gibt´s gar keinen Weg mehr… Boah… kreuz und quer durch die Dunkelheit, durch mannshohe Vegetation. Helene würde wohl sagen „atemlos durch die Nacht“, was hinkommt, da der eigentlich richtige Pfad etliche Höhenmeter über uns liegt, wie wir dann rausfinden.
Immerhin, wir finden wieder die Richtung und es geht lange an einer Straße entlang. Schon ziemlich erschöpft trinken wir an einem Kloster einen Kaffee und weiter… Nach knapp 20 km gelangen wir an ein Cafe mit Herberge, allerdings ist es noch früh und der Wirt hat keine Lust zu kochen. Ja dann…
Über einen kleinen Pass geht es nun, hoch über dem Meer. Laut Wirt sollten wir nach ca. 11 km unser Tagesziel erreichen, den Hafen von Bayones. Angekommen finden wir für 20.- € p.P. ein schönes Zimmer, erstmal duschen! Die nächste Stunde geht im Waschsalon drauf, die Sachen müssen mal wieder in eine Maschine. Leider haben bis auf eine Pizzeria alle Läden noch zu und so werden wir übel dort geneppt: 18.- € für ein ähhhh „Pizza“, die den Namen nicht verdient. Im Supermarkt decken wir uns mit dem Notwendigsten ein und verbringen schlagkaputt den Abend auf dem Zimmer.
11.05.2018
Raus aus dem Hafenbecken, Richtung Vigo. Keine Höhenmeter auf dem Portugues? Wie bereits bemerkt, das ist ein Irrtum…
In einem kleinen Ort ist ein schönes Cafe an der Straße und wir beschließen dort eine Rast einzulegen. Ein alter Mann hört mich bestellen und spricht mich auf deutsch an. Es entspinnt sich lustiges Gespräch, er, Armado, hat in Deutschland in Köln in einer Spedition gearbeitet. Es ist früh am Tag und wir trinken alkoholische Getränke, Armado aus einer Tasse, damit es nicht so auffällt, klasse! Er ist völlig in seinem Element, ich glaube, die letzten Jahre hatte er nicht so einen Spaß! Wir lassen uns nicht lumpen (naja, eher ich) und legen Glas um Glas nach…
Irgendwann müssen wir aber weiter und unter viel winken und rufen nehmen wir wieder den Weg auf. Ob Armardo noch lebt, er war damals 80…?
Das Wetter zieht sich zu und es beginnt leicht zu nieseln, als wir Vigo erreichen. Nach einer kleinen Meinungsverschiedenheit beschließe ich, die Etappe mal allein etwas zu verlängern. Etwas… ich will die unsäglichen Strapazen mal auslassen, jedenfalls komme ich irgendwann spätabends in Redondela an, wo ich über einer Disco eine komplette Herberge für mich habe. Über 45 km stehen auf der Uhr, ich bin völlig geschafft, zumal die letzten 10 km von üblen Höhenmetern gespickt waren.
12.05.2018
Meine linke Archillessehne zickt, ich geh immer noch auf dem Zahnfleisch. Die Damen kommen das Stück mit dem Zug nach. Langsam wird „der Weg“ voll, Pilger überall.. „Hallo, ich bin der Paul, bon camino!“. Warum meinen alle hier, man müsste sich verbrüdern und mit jedem Wildfremden Therapiestunden abhalten? Das wird sich mir nie erschließen, es scheint aber tatsächlich so zu sein, dass hier ganz viele Menschen mit persönlichen Problemen am Start sind und diese sehr gern mit ihren Mitpilgern teilen…
Am Ende des Tages kommen wir in einer schlimmen Kaschemme unter. Wenn der Badezimmerflokati sprechen könnte..
13.05.2018
Ponchotime, es regnet! Wir verlassen Pontevedra in einem Pilgerkonvoi, absolut nicht mein Ding. Aber das war abzusehen, gegen Ende wird es immer voller, da man die Urkunde bekommt, wenn man die letzten 100 km zu Fuß zurückgelegt hat. Nach ziemlichen Qualen erreichen wir Caldas de Reis, leider ist die Herberge ausgebucht, aber wir finden im „Lotus“ für 45.- € ein Zimmer. Gegenüber gibt es köstliche Pizza und der Tinto fließt in Strömen… 🎉😁🎶
14.05.2018
Die Blicke der Gäste im Foyer am Morgen entschädigen für die Qualen der letzten 200 km. Herrlich! Heute stehen 18 km an, Conny hat eine Unterkunft vorgebucht. Diese Kilometer haben es allerdings in sich, kurz vor unserem Ziel nehmen wir einen Kaffee in einer „Kunstkneipe“, was nichts anderes ist als ein heruntergekommenes Etablissement eines Pseudokünstlers, der einem in einer Espressotasse miese Plörre anbietet für viel Geld. Egal, eine Erfahrung reicher geht es auf die Schlussmeter zum Hotel „Rosalie“ wo ich meine Kopfhörer verlieren werden.
15.05.2018
Die letzte Etappe beginnt. Und zwar ziemlich genau um 5.00 Uhr geht es auf die 23 km, die uns aber wesentlich länger vorkommen werden. Wir machen im Dunkeln Strecke und zum ersten Kaffee sind schon 10 km abgelaufen. Früh los macht doch schon ab und zu Sinn. Aber dann…. Conny hat Krämpfe in den Fußsohlen, die andere Dame eiert mit Blasen rum und mir fährt es in die Hüfte. Siech kriechen wir weiter bis zu einer längeren Pause, knapp 8 km vor Santiago. Was für Hamburger, gigantisch groß, gigantisch gut! Weiter unter Qualen, wir überholen Fußkranke, die noch mehr gegeißelt sind.
Letztendlich laufen wir im Ziel ein, erst die Rucksäcke ins Hotel, dann in die Touristinformation, um die Compostela zu holen. Schock: Massenandrang, die Durchgepeitschten stehen durch die Gänge bis fast raus auf die Straße! Über 2,5 St. später sind wir dann am Schalter und nehmen das bunte, schön gestaltete Erinnerungsstück in Empfang.
Die Ankunft wird anschließend gebührend gefeiert….
16.05.2018
Mit dröhnenden Schädeln geht es nach dem Waschsalon zur Messe. 11.00 Uhr, wir bekommen noch gute Plätze und dann geht es los: Eine Nonne peitscht die Massen mit Gesang auf, aufstehen, hinsetzen, immer im Wechsel. Und wir haben echtes Glück: Der große Weihrauchkessel wird geschwenkt, wirklich toll!
Der Tag wird mit ein bisschen einkaufen verbracht, auch die Busfahrkarten für morgen Richtung Porto wollen besorgt sein. Conny lässt sich ein Poster anfertigen, wo unsere drei Namen verewigt sind, das kann gegen 19.00 Uhr abgeholt werden, sieht toll aus und schmückt heute die Wohnung als schöne Erinnerung.
Morgen um 12.00 Uhr geht der Bus nach Porto, ich muss vorher noch den Jakobus umarmen, das hatten die Damen schon erledigt, während ich meine Wäsche gewaschen hatte.
17.05.2018
Um 9.00 Uhr verlassen wir das Zimmer Richtung Kathedrale. Witzig, wo gestern lange Schlangen waren, kann ich jetzt direkt durch, keiner da. Ein paar Stufen hinunter und man steht vorm Grab des heiligen Jakobus. Geht man eine Treppe höher, kann man „ihn“ von hinten umarmen, ich hoffe, es bringt Glück…
Nach einer längeren Fahrt erreichen wir schließlich Porto, unsere Unterkunft liegt ca. 2,5 km vom Douro entfernt hoch auf einem Berg. Sehr oldskool. Dafür in nächster Nähe ein Restaurant, das wirklich gut kocht!
18.05.2018 +
Mit dem 600er Bus geht es in die Innenstadt, die heute völlig aus den Fugen ist: Ralley! Muss man mögen, wir kämpfen uns durch die Massen zum Duoro und setzen stylish mit einem Boot über, statt die Brücke zu nehmen. Die andere Seite, Vila Nova de Gaya, beherbert die ganzen Portshipper, die zu leckeren Tastings einladen. Gleich zu Sandemanns, und für 15.- € eine lustige Führung mit Verköstigung gemacht. Vorher statteten wir dem Portinstitut noch einen Besuch ab, hier gibt es eine kleine Ausstellung über Port und Duoro und eine Art „Portspender“, den wir mal testen… Drei Ports später steht fest: der 40 Jahre alte Wein ist ein Gedicht!
Portgeschwängert geht es über eine Brücke zurück, die wir lange fälschlicherweise für die von Gustave Eiffel halten, was allerdings nicht stimmt. Diese, die Ponte Maria Pia, liegt weiter oben.
So verbringen wir noch eine schöne Zeit in Porto, Tasting bei Grahams war übrigens ein Highlight, unbedingt das etwas Teurere nehmen, es lohnt!
Resume:
Der Portugues ist ein sehr schöner Weg, der allerdings durchaus auch seine anstrengenden Etappen hat. Wer den einschlägigen Pilgerführern glauben schenkt, wird sich wundern: Es hat durchaus Höhenmeter. Zu den Pilgerführern. Fast in jeder Rucksackaußentasche steckt dieses gelbe Büchlein… Prinzipiell für einen Überblick sehr gut geeignet, hat es allerdings auch massive Nachteile: Fast alle pilgern genau diese Etappen, mit dem Erfolg, dass die Zielorte i.d.R. recht voll sind. Ein Ort später oder vorher: Nicht 1/10 der Menschen in den Herbergen/Hostels. Wer also keinen gesteigerten Wert auf Betroffenheitslyrik und Seelenselbstentblößung hat, sollte die Tipps aus dem Büchlein zur Kenntnis nehmen, aber vielleicht die Etappen immer etwas verlängern/verkürzen…
Für die 280 km haben wir 11 Tage gebraucht, somit wäre der Weg prinzipiell mit einem 14-tägigen Urlaub zu erlaufen. Allerdings sollte man dann nicht von Porto zurück, sondern den Rückflug von Santiago aus bewerkstelligen, da sonst fast ein Tag für die Rückreise nach Porto zu veranschlagen ist und man so kaum Puffer hat, wenn unterwegs mal etwas dazwischen kommen sollte.